* 27.4.1932, Glauchau † 8.7.2020 Mühlacker
Nachruf von Heinrich Bosse
Am 8. Juli 2020 ist Otto-Heinrich Elias im Krankenhaus in Mühlacker gestorben. Er war im Dezember 2018 bei einer mißglückten Operation mit einem hartnäckigen Keim infiziert worden, so daß er seitdem als kaum beweglicher Invalide ans Bett gefesselt blieb, behindert in seiner Schaffenskraft, nicht aber in seiner intellektuellen Wachheit.
Heinz / Heiner Elias wurde am 27. April 1932 in Glauchau (Sachsen) geboren und ging dort auch zur Schule. Nach dem Abitur im Jahr 1950 machte er eine Gartenbaulehre in der DDR, die er als Geselle abschloß. Er begann anschließend, in West-Berlin Gartenbau zu studieren, wandte sich dann aber doch den Büchern, Texten und Dokumenten zu. Zunächst in Freiburg, dann in Marburg studierte er Geschichte und Germanistik. Es ist bezeichnend für ihn, daß er in den politisch aufgeregten 1960er Jahren an einer linken Studentenzeitung mitarbeitete, die sich von den renommierten „Marburger Blättern“ abgespalten hatte. Für seine Doktorarbeit, die vom Osteuropahistoriker Peter Scheibert angeregt worden war, untersuchte er das Revaler Stadtarchiv, dessen ältere Bestände damals in Göttingen lagerten. Das Ergebnis war ein Grundlagenwerk für die baltische Geschichte im 18. Jahrhundert, „Reval in der Reformpolitik Katharinas II.“ (Quellen und Studien zur baltischen Geschichte 3. Bad Godesberg 1978). Es handelt von einem Zentralthema baltischer Geschichte, der Spannung zwischen staatlicher Zentralgewalt und städtischer – oder ständischer – Selbstverwaltung. Mit großer Umsicht disponiert, verbindet sich darin das genaueste Quellenstudium mit den grundsätzlichen Fragestellungen, welche die Sozial-, Wirtschafts-, Militär- und Kulturgeschichte der Stadt zwischen 1783 und 1796 aufgeben. Auch in seinen späteren Veröffentlichungen kann man sich als Leser daran erfreuen, wie souverän Elias Detailgenauigkeit einerseits, die Freude am generellen Räsonnement andererseits, miteinander zu verschmelzen wußte.
Im Januar 1970 wurde Elias’ Arbeit über Reval in der Statthalterzeit als Dissertation angenommen. Ein Jahr später (1971) wurde er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in die Württembergische Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Württemberg eingestellt. Von 1977 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1996 wirkte er als deren Geschäftsführer, das heißt konkret: organisatorisch, was die Gremienarbeit betrifft, und redigierend, was die Veröffentlichungsreihen dieser Kommission betrifft. Selbstverständlich trat er dabei auch als Autor hervor; die Landesbibliographie von Baden-Württemberg weist allein 30 Titel von ihm zur Geschichte des württembergischen Raumes auf. Dabei ist es vor allem die Epochenschwelle um 1800, die sein Interesse weckte: Napoleon, König Wilhelm I. und dessen Gattin Katharina, die Zarentochter auf dem württembergischen Thron.
Mit einer vergleichbaren Energie verfolgte Elias aber auch weiterhin Aspekte der baltischen Geschichte. Im Grunde hatte er vier intellektuelle Arbeitsfelder, auf denen er als Autor tätig war: zwei großräumige, die württembergische Landesgeschichte und die baltische Geschichte um 1800 – und dann zwei kleinräumige, die Lokal- und Kirchengeschichte von Kleinglattbach bei Vaihingen an der Enz und dessen Ortsteil Kleinglattbach, wo Elias mit seiner Frau Uta und vier Kindern seit 1979 wohnte; und schließlich Geschichten aus seiner Geburtstadt Glauchau unter der Herrschaft der Grafen von Schönburg. Auch in seiner Arbeitsweise lehnte Elias es ab, sich beschränken zu lassen. Er verfaßte personengeschichtliche Aufsätze wie die über den Publizisten Friedrich Georg Ludwig Lindner (1983) oder den Revaler Kaufmann Johann Friedrich Jürgens (2000), sozialgeschichtliche Arbeiten, davon mehrere über die sogenannten Undeutschen (1966, 2002, 2005), wirtschaftsgeschichtliche Studien wie die über die Bedeutung der Branntweinbrennerei in den Ostseeprovinzen (1998), oder auch eine Serie von Aufsätzen und Vorträgen über August von Kotzebue (2007, 2010, 2011, 2012); aus ihnen spricht der Historiker wie der Literaturkenner – und nicht zuletzt der sichere Stilist.
Nicht ganz so auffällig wie seine Autorschaft, dafür aber um so wichtiger ist schließlich Elias’ Tätigkeit als Herausgeber. An erster Stelle wäre hier das Deutschbaltische Rechtswörterbuch zu nennen. Vorarbeiten, die bis in die 30er Jahre zurückreichen, wurden nach dem Kriege wieder aufgenommen und endlich, allen Erschwernissen zum Trotz, von zwei Nichtjuristen abgeschlossen, von Alfred Schönfeld und Otto-Heinrich Elias. Seit 2006 steht ihr Werk als Lexikon im Netz; es bietet den Benutzern nahezu erschöpfend die Termini der deutschen Rechts- und Verwaltungssprache in den Ostseeprovinzen zwischen 1710 und 1940.
Im September 1989 gelang es, erstmals nach dem Krieg, ja vielleicht überhaupt erstmals, eine gemeinsame Tagung deutscher und estnischer Historiker in Tallinn durchzuführen. Elias nahm dabei sein früheres Thema – städtische Autonomie gegen Zentralgewalt – wieder auf und übernahm es auch, unterstützt von Indrek Jürjo, Sirje Kivimäe und Gert von Pistohlkors, die gesamte Tagung zu dokumentieren. Der Band wurde unter dem Titel „Aufklärung in den baltischen Provinzen Rußlands“ 1996 publiziert. Nicht zu sehen ist darin die redaktionelle Arbeit, welche für die Beiträge estnischer Kollegen zu leisten war. Elias hat in der Folge diese Art von sprachlicher, diskreter Hilfe mit unermüdeter Anteilnahme fortgesetzt; ich verweise dazu auf die Buch- und Aufsatzpublikationen des estnischen Historikers Raimo Pullat.
Als Autor und Herausgeber besorgte Elias auch einen Tagungsband der baltischen Seminare, „Zwischen Aufklärung und baltischem Biedermeier“ (2002); als Mitherausgeber und Autor fungierte er bei der Festschrift für Paul Kaegbein zum 80. Geburtstag, „Buch und Bildung im Baltikum“ (2005), sowie bei dem Tagungsband „Baltische Literaturen in der Goethezeit“ (2011). Es liegt auf der Hand, daß es bei wissenschaftlichen Sammelwerken um wissenschaftliche Texte geht, die im einzelnen nachzuprüfen oder genauer zu formulieren sind. Zu dieser redaktionellen Aufgabe war Elias, ich möchte sagen, immer bereit und vor allem immer fähig. Darüber hinaus geht es aber auch um die Menschen, die daran beteiligt sind. Hier zeigte sich Otto-Heinrich Elias als zugewandter, zuhörender Kollege, der selbst in die sauersten Arbeiten eine gewisse sächsische Leichtigkeit und Eleganz zu bringen vermochte. Ich habe auf diese Weise unendlich viel von ihm gelernt, und ich glaube, ich bin darin nicht allein.
Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Heinrich Bosse