Friedrich Scholz

* 1.3.1928 Hamburg, † 27.5.2016 Münster
Nachruf von Detlef Henning

Am 27. Mai  vergangenen Jahres verstarb bei Münster in Westfalen unser Ehrenmitglied Professor Dr. phil., Dr. phil. h. c., em. o. Professor für Slavische und Baltische Philologie an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster, Friedrich Scholz.

Friedrich Scholz wurde am 1. März 1928 in Hamburg geboren. Von seinem Vater, der vor dem Ersten Weltkrieg bei der sogenannten Bagdadbahn in Persien angestellt und einer besten Kenner der arabischen Sprachen in Deutschland war, scheint er seine ungewöhnliche Sprachbegabung geerbt zu haben. Bereits in der Schule lernte er Griechisch, Lateinisch, Französisch, Englisch, Spanisch und Russisch. Gleich nach dem Krieg begann er als Schüler in den vielen DP-Lagern rund um Hamburg Deutsch und Englisch für DPs aus Russland, Polen, Litauen oder Lettland zu unterrichten. Dadurch wurde er wohl angeregt, Slavistik und Baltistik zu studieren.

1947 nahm er in Hamburg das Studium der vergleichenden Sprachforschung auf, mit den Schwerpunkten Baltistik, Keltologie, Indologie, klassische Philologie und slavische Sprachen. In Hamburg promovierte Scholz 1953 zum Dr. phil., mit einer Dissertation über die Geschichte des sogenannten umschriebenen Perfekts, also ein Gebiet auf der Grenze zwischen Formenlehre des Verbums und Syntax. Seine akademischen Lehrer waren Ernst Fraenkel und Hans Hartmann, dessen Assistent er 1957 wurde.

1959 habilitierte er sich für das Fach Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft. Nach Stationen als außerordentlicher Professor am Auslands- und Dolmetscherinstitut der Universität Mainz in Germersheim und für Slavische Philologie an der Universität Mainz wurde er 1966 zum ordentlichen Professor für Slavische Philologie an die Universität Münster berufen. In seinen sprachwissenschaftlichen, meist historisch angelegten Studien folgte er häufig seinem Interesse für das Baltikum, d. h. nicht nur für die baltischen Sprachen, das Litauische und das Lettische, gelegentlich auch für das ausgestorbene Kurische in Ostpreußen, sondern für alle Sprachen des Raumes, also auch für das nicht indogermanische Estnische und Finnische, oft unterstützt durch seine Frau, die auf demselben Gebiet ausgebildet worden war. Es war also durch regelmäßige Lehre und Forschung begründet, dass Scholz 1968 seinen Lehrstuhl in Professur „für slavische und baltische Philologie“ umbenennen ließ. Allerdings hatte es Baltische Forschung und Lehre in Münster schon nach dem Ersten Weltkrieg gegeben und das Seminar selbst hieß, als einziges in Deutschland, schon seit 1955 so.

Als Scholz 1983 in die Klasse für Geisteswissenschaften der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste kooptiert wurde, schien ihm klar, dass er eben als baltistisch arbeitender Slavist gewählt worden war. Über baltische Literaturen hielt er hier seinen Einstandsvortrag, den er später ausarbeitete und 1990 als Buch in den Abhandlungen der Akademie veröffentlichte: „Die Literaturen des Baltikums – ihre Entstehung und Entwicklung“. Es wurde das Opus magnum seiner Studien überhaupt. Es ist die erste und bisher einzige Darstellung aller Literaturen dieses Raumes, des Baltikums, nicht nur in Deutschland, sondern vermutlich auch weltweit. Neben drei weiteren Monographien gehören mehr als 200 Aufsätze, Beiträge und Besprechungen, darunter 13 Lemmata für Kindlers neues Literaturlexikon (1988 ff.), mehr als 20 Editionen, häufig frühneuzeitlicher Bibelübersetzungen in slavische oder baltische Sprachen, sowie einige wenige  literarische Übersetzungen, etwa irischer Märchen oder kleinerer Texte von Anton Hansen Tammsaare, zum wissenschaftolichen Werk von Friedrich Scholz.

Zu Scholz Verdiensten gehört auch, sich seit Mitte der 1980er Jahre zusammen mit unserem 2010 verstorbenen Mitglied Wilfried Schlau für das Münsteraner Modell sechswöchiger „Intensivkurse der Sprachen der baltischen Region für deutsche Studenten“ eingesetzt zu haben, für die erstmals moderne Sprachlehrbücher in deutscher Sprache verfasst wurden. Durch diese Sprachkurse haben zwischen 1989 und 2005 rund 350 Deutsche eine der drei Sprachen der baltischen Region erlernen und später in vielfältiger Weise in der Praxis anwenden können. Einige von ihnen sind heute auch Mitglieder der Baltischen Historischen Kommission.

1992 wurde Scholz Auswärtiges Mitglied der Akademie der Wissenschaften Lettlands, 1993 wurde er emeritiert, 1995 Ehrenmitglied der Baltischen Historischen Kommission. Die neue Unabhängigkeit der baltischen Staaten verfolgte er mit Sympathie und gehörte noch 1993 zu den Gründern des „Instituts für Interdisziplinäre Baltische Studien“ an der Universität Münster. Zuletzt beschäftigte ihn die Edition der ersten nur handschriftlich vorliegenden Bibelübersetzung ins Altlitauische von Johannes Bretke (1579-1590), die als Faksimile-Druck und in kommentierter, textkritischer Form 2002 erscheinen konnte.

Mit Prof. Friedrich Scholz habe ich meinen akademischen Lehrer der Baltischen Philologie in Münster und haben wir alle einen Kollegen verloren, der die akademische Erinnerung an das Baltikum, seine Sprachen und Literaturen in Zeiten, als diese aus dem deutschen und europäischen öffentlichen Bewusstsein verschwunden waren, wachhielt und die Rückkehr Estlands, Lettlands und Litauens in unser Bewusstsein nach 1991 mit ebnen half. Wir werden ihm ein ehrendes Gedenken bewahren.

Detlef Henning