Paul Kaegbein

* 26.6.1925, Dorpat/Tartu † 8.3.2023 Leverkusen
Nachruf von Norbert Angermann

Mit Paul Kaegbein, der am 8. März im Alter von 97 Jahren in Leverkusen (bei Köln) starb, verloren wir einen Gelehrten, dessen Wirken für die Bibliothekswissenschaft, ebenso aber auch für die Erforschung der baltischen Geschichte überaus große Bedeutung besaß. Geboren ist Kaegbein am 26. Juni 1925 in Dorpat. Sein Vater, ein Astronom und Mathematiker, war aus Mecklenburg zugezogen, seine Mutter entstammte einer seit langem in Reval verwurzelten Kaufmannsfamilie. Nach der Umsiedlung der Deutschbalten lebte Kaegbein jahrzehntelang in Berlin. Aus Gesundheitsgründen nach dem Abitur vom Militärdienst befreit, studierte er dort von 1943 bis 1948 an der während dieser Zeit umbenannten Friedrich-Wilhelms- bzw. Humboldt-Universität Geschichte und Germanistik. Sein wichtigster Lehrer war der große Hanseforscher Fritz Rörig. Kaegbein wurde einer der letzten Assistenten von Rörig und promovierte bei ihm mit einer Arbeit über die Büchereien mittelalterlicher Stadträte. Nachdem Rörig 1952 gestorben war, erhielt Kaegbein von der Witwe die ersten Bücher seiner später sehr großen, namentlich um Baltica ergänzten Bibliothek. 1953 erschien in der Gedächtnisschrift für Fritz Rörig eine von seinem baltischen Schüler erstellte umfangreiche Bibliographie. Bedeutsam war auch, dass Kaegbein die Aufgabe übernahm, ein Sammelwerk mit Arbeiten Rörigs herauszugeben. Diesen umfangreichen Band, der in erster Auflage 1959 und in zweiter 1971 erschien, kennt auch heute jeder Hanseforscher.

Nach der Promotion hatte Kaegbein eine Ausbildung für den höheren Bibliotheksdienst begonnen. Sie ermöglichte es bald, dass er an der Bibliothek der Westberliner Technischen Universität tätig wurde. Dort war er längere Zeit „Leitender Bibliotheksdirektor“. Neben der Wahrnehmung seiner administrativen Aufgaben hielt er Lehrveranstaltungen ab, wurde Honorarprofessor an der TU und publizierte viel. Außerdem beriet er bei der Neugründung von Hochschulbibliotheken. Das Gelingen bei alledem führte 1975 zu seiner Berufung auf einen neu geschaffenen Lehrstuhl für Bibliothekswissenschaft an der Universität Köln, eine Stellung, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1990 innehatte. Jahrelang leitete er gleichzeitig das in Köln existierende größte Bibliothekar-Ausbildungsinstitut der Bundesrepublik. In dieser Lebensepoche und darüber hinaus nahm er als Autor und Herausgeber höchst aktiv an der Weiterentwicklung des Faches Bibliothekswissenschaften teil. Zugleich spielte er eine führende Rolle in bibliothekarischen Organisationen, auch auf internationaler Ebene. Seine vielfältigen Aktivitäten auf bibliothekarischem Gebiet wurden stets hoch anerkannt, unter anderem mit einer großen Festschrift mit internationaler Autorenschaft aus Anlass seiner Emeritierung.

In Kaegbeins bibliothekswissenschaftlichen Arbeiten kamen bis zu einem gewissen Grade auch baltische Themen zur Geltung. So übernahm er baltische Stichworte, darunter die Namen von baltischen Verlegern, für eine Neuauflage des „Lexikons des gesamten Buchwesens“. Nach der politischen Wende bezog er das Baltikum verstärkt in seine internationalen Kontakte ein, was zu einer Auszeichnung durch die Tartuer Universitätsbibliothek führte. Die Baltikumsforschung bildete aber neben der Bibliothekswissenschaft doch ein eigenes weiteres Arbeitsfeld des Verstorbenen.

Kaegbein gehörte seit 1966 der Baltischen Historischen Kommission an und wurde ab 1976 wiederholt in deren Vorstand gewählt, bis er 1999 darauf verzichtete. Seine bedeutendste Leistung während dieser Zeit bestand darin, dass er fortlaufend in aller Welt erschienenes Schrifttum zu unserem Themenbereich erfasste, was im Interesse aller Forschenden lag. Im Jahre 1978 übernahm er die Erstellung der „Baltischen Bibliographie“, die, Veröffentlichungen zu Estland und Lettland erfassend, alljährlich im letzten Heft der Zeitschrift für Ostforschung erschien. Dies geschah im Einvernehmen mit Hellmuth Weiss, dem dafür bis dahin Verantwortlichen. Ab dem Berichtsjahr 1994 wurde diese jährliche Erfassung von neuen Veröffentlichungen, erweitert um Publikationen über Litauen, in Buchform fortgesetzt. Im Zusammenhang mit neuen Plänen des Herder-Instituts, bei dem die Buchreihe erschienen war, endete dies mit einem Band, der 2005 herauskam. Kaegbein hat diese Arbeit aber fortgeführt, wenn auch im Wesentlichen beschränkt auf die „Publikationen der Baltischen Historischen Kommission und das Baltikum betreffende Veröffentlichungen ihrer Mitglieder“. Immer wieder aktualisiert, erschien eine 11. Ausgabe dieser Bibliographie 2018 auf der Homepage der BHK. Mit einem sonst kaum gezeigten Stolz konnte Kaegbein in einem Brief an mich vom 19. Februar 2015 darauf hinweisen, dass seines Wissens für keine andere Historische Kommission und für keinen anderen Geschichtsverein die erbrachten Leistungen in einer solchen Weise erfasst seien. Er erstellte auch ein mehrfach ergänztes Verzeichnis von Veröffentlichungen über Mitglieder der BHK und erschloss den Zugang zu digitalen Publikationen zur baltischen Geschichte.

Ebenfalls sehr wichtig war Kaegbeins Rolle bei der Publikationsstätigkeit unserer Kommission. Er gehörte zu den Mitherausgebern der bisherigen drei Reihen der BHK und zeichnete in mehreren Fällen auch für Einzelbände als Mit- oder Alleinherausgeber verantwortlich. Seine Hilfeleistungen waren bei alledem unersetzlich. Zu seiner Arbeitsweise sei eine Charakterisierung von Seiten des allgemein sachlich und nüchtern urteilenden Wilhelm Lenz sen. angeführt. Dieser schrieb im Vorwort zu seinem bekannten „Deutschbaltischen biographischen Lexikon“ von 1970: „Bibliotheksdirektor Dr. phil. Paul Kaegbein hat die Korrektur mit größter Sorgfalt mitgelesen, dabei zahlreiche Irrtümer und Ungenauigkeiten ausgemerzt und viele Artikel ergänzt.“

In unserem Interesse lagen auch die von Kaegbein zusammen mit Wilhelm Lenz jun. im Auftrage der BHK herausgegebenen Publikationen „Vier Jahrzehnte baltische Geschichtsforschung“ (1987) und „Fünfzig Jahre baltische Geschichtsforschung“ (1997). Aus der großen Zahl seiner sonstigen Veröffentlichungen seien seine vielen Rezensionen im estnischen Jahrbuch „Vana Tallinn“ erwähnt.

Kaegbeins Anliegen, die baltische Forschung zu fördern, fand 2017 außerdem in einer sehr großzügigen Spende ihren Ausdruck, die, verwaltet von der Paul-Kaegbein-Stiftung, die Realisierung von baltikumsgeschichtlichen Forschungs- und Publikationsvorhaben erleichtert, was selbstredend großen Dank verdient.

Die BHK bekundete ihre Anerkennung für seine Leistungen durch Kaegbeins Wahl zu ihrem Ehrenmitglied, die bei seinem Ausscheiden aus dem Vorstand im Jahre 1999 erfolgte. Im Jahre 2005, zu seinem 80. Geburtstag, widmeten wir ihm die stattliche Festschrift mit dem Titel „Buch und Bildung im Baltikum“, herausgegeben von Heinrich Bosse, Otto-Heinrich Elias und Robert Schweitzer. Erfreulicherweise enthält dieser Band zahlreiche ausländische Beiträge, namentlich solche aus Estland.

Trotz seines sehr hohen Alters setzte Kaegbein seine Arbeit bis in die letzte Zeit unbeirrt fort. Noch im Falle des 2021 erschienenen Bandes unserer Reihe „Baltische Biographische Forschungen“ war er Mitautor eines Beitrages und gab es Anlass, ihm im Vorwort für seine Teilnahme an der Korrekturarbeit zu danken. In seinem Briefwechsel mit mir vom vergangenen Jahr bot er an, auch an der Korrektur des in Vorbereitung befindlichen nächsten Bandes der „Baltischen Biographischen Forschungen“ mitzuwirken. Aus seinen Briefen ergibt sich, dass die 12. Ausgabe seines Verzeichnisses „Publikationen der BHK“ fast vollendet war. Den Abschluss verzögerten seine große Sorgfalt, aber natürlich auch sein hohes Alter. Wie er schrieb, arbeite er sehr gern weiter, doch müsse er dabei nun auch Stunden der Ruhe einlegen. Kaegbeins ungewöhnlicher Arbeitseinsatz findet zweifellos in seiner Persönlichkeit eine Erklärung. Bedenkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Stelle aus einem Brief an mich vom 9. Januar 2022. Kaegbein nimmt dort darauf Bezug, dass von den 25 Mitschülern seiner Abiturklasse bei Kriegsende nur noch fünf lebten. Ihm widerfuhr also ein “gütiges Geschick“, und er schreibt weiter: “Dieses Wissen hat mich veranlasst, beständig so aktiv wie möglich zu sein.“

Wir haben allen Grund, Paul Kaegbein besonders dankbar zu sein und ihm ein ehrenvolles Andenken zu bewahren.

Norbert Angermann